Bauprojekte in Österreich

Herausforderungen im Tiefbau

Spezialtiefbau
06.11.2024

Österreich: Land der Berge, Täler und Flusslandschaften. Doch gerade diese landschaftlichen Schönheiten sorgen für vielfältige Herausforderungen für den Spezialtiefbau. Zu den Erfolgsfaktoren entsprechender Bauprojekte zählt daher unter anderem eine genaue Kenntnis der Gegebenheiten.
Bagger in Tunnel
Unlängst ist in der „Streckenröhre 1“ des Semmering-Basistunnels der letzte Durchschlag gelungen, seither ist Gloggnitz mit Mürzzuschlag unterirdisch fertig verbunden.

Der Semmering-Basistunnel zählt zu den größten, herausforderndsten und zugleich bekanntesten Bauprojekten im Bereich Spezialtiefbau in Österreich. Zwei Röhren mit je 27,3 Kilometer Länge werden gegraben, die ersten Tunnelbauarbeiten haben bereits 2014 begonnen. Vor wenigen Wochen ist in der „Streckenröhre 1“ im Bauabschnitt Gloggnitz der letzte Durchschlag gelungen, seither ist Gloggnitz mit Mürzzuschlag unterirdisch verbunden. In der zweiten Röhre sei mit einem Abschluss der Arbeiten im ersten Quartal 2025 zu rechnen, betont die Projektverantwortliche ÖBB-Infrastruktur AG. 

Tunnelbau ist ein Marathon

Tunnelbau ist ein Marathon
„Bauprojekte dieser Größe sind kein Sprint, sondern ein Marathon – das gilt besonders im Tunnelbau. Wer die Arbeit der Mineure im Berg schon selbst erlebt hat, kann ihnen nur unglaublichen Respekt und Dank aussprechen, für die Leistungen, die hier für zukünftige Generationen erbracht werden“, betonte Andreas Matthä, Vorstandsvorsitzender ÖBB Holding, anlässlich des Durchschlags. Der Tunnel wurde von fünf Stellen und insgesamt 14 Vortrieben aus gleichzeitig gebaut, zwölf der 14 Vortriebe sind bereits abgeschlossen. 2020 begann wiederum der „Innenausbau“ der Tunnelröhren, dabei wird der Tunnel mit einer Betoninnenschale ausgekleidet, mehr als 40 Kilometer (von insgesamt 55 Kilometer in zwei Röhren) sind schon geschafft. Nach Fertigstellung der Innenschale erfolgt dann als letzter Schritt die bahntechnische Tunnelausrüstung, also Gleise, Leitungen, technische Anlagen und weiteres. Baubeginn für die Tunnelausrüstung ist im Sommer 2025.

Stabile Grundstruktur

Das Semmering-Basistunnel-Projekt zeigt die Herausforderungen für den Spezialtiefbau in Österreich sehr anschaulich, gerade die vielfältigen und teils sehr anspruchsvollen geologischen Bedingungen sind dabei von zentraler Bedeutung. Sowohl in urbanen Regionen, in denen der Raum knapp und der Grundwasserspiegel oft hoch ist, als auch in den Alpen, wo stabile Infrastrukturen in steilem und felsigem Gelände notwendig sind, stellt der Spezialtiefbau die Grundlage für viele Bauprojekte dar.
Wenig Wunder also, dass der Spezialtiefbau ein essenzieller Teil der heimischen Bauwirtschaft ist. Der Bereich umfasst dabei alle Maßnahmen, die in den Untergrund eingreifen, um Bauwerke zu errichten oder zu sichern. Dazu gehören Gründungen von Gebäuden, die Sicherung von Baugruben, der Bau von Tunneln und Brücken sowie die Errichtung von Stützmauern und Hangbefestigungen. Ohne diese spezialisierte Arbeit wäre der Bau vieler moderner Infrastrukturen und Gebäude nicht möglich. Dementsprechend wichtig ist das Segment für die österreichische Bauwirtschaft, da viele Großprojekte ohne eine stabile, tiefgreifende Grundstruktur nicht realisiert werden könnten.

Geologische Hindernisse

Die Auswirkungen des Hochwassers im September zeigen die Bedeutung des Spezialtiefbau sehr gut. Denn die extremen Unwetter haben Spuren der Verwüstung hinterlassen, unter anderem bei der Schieneninfrastruktur. Etwa auf der Weststrecke oder auch in Wien im Bereich des Bauprojekts U2xU4 Pilgramgasse. Im Zuge des letzteren Projekts muss selbst das Flussbett des Wienflusses saniert werden, da es durch das Hochwasser massiv beschädigt wurde. 
Daneben erfordern zunehmende Urbanisierung als auch das Wachstum der städtischen Infrastruktur immer anspruchsvollere Lösungen im Spezialtiefbau. In Städten wie Wien und Graz, wo der verfügbare Platz begrenzt ist und häufig unterirdische Infrastrukturen wie U-Bahn-Stationen oder Parkhäuser errichtet werden, stößt der Spezialtiefbau oft auf geologische Hindernisse wie dichten Boden oder hohe Grundwasserstände. Gleichzeitig gibt es in ländlichen Gebieten – vor allem in den Alpenregionen – weiterhin Bedarf an infrastrukturellen Verbesserungen, die stabile Stützmauern, Tunnel und Brücken erfordern.
Zudem sind in Österreich aufgrund der geologischen Eigenheiten unterschiedliche Herausforderungen gegeben. Die Topographie reicht von den weichen Böden des Donauraums über komplexe Felsformationen in den Alpen bis hin zu städtischen Ballungsräumen, in denen Grundwasser eine zentrale Rolle spielt. Um solche Projekte erfolgreich umzusetzen, müssen Spezialtiefbauunternehmen hoch spezialisierte Techniken und Verfahren einsetzen. „Eine der größten Herausforderungen sind so genannte Störungsbereiche im Gebirge. Das sind Bruchstrukturen, an denen tektonische Bewegungen stattgefunden haben. Solche Störungen sind im Tunnelbau häufig schwierig zu durchörternde Gebirgsbereiche und erfordern eine intensive Erkundung und besondere Maßnahmen beim Vortrieb“, erklärt etwa Daniel Pinka, Pressesprecher bei der ÖBB Holding.

Verhältnisse genau kennen

Bagger auf Baustelle
Digitale Werkzeuge wie beispielsweise Building Information Modeling gewinnen im Spezialtiefbau zunehmend an Bedeutung.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor für den Spezialtiefbau ist es daher, die Gegebenheiten im jeweiligen Baugrund möglichst genau zu kennen. Je genauer die Projektverantwortlichen die jeweiligen Verhältnisse kennen, desto umweltschonender und wirtschaftlicher kann letztlich gebaut werden. Dies gilt besonders für Projekte in den Alpen. Diese beinhalten extrem herausfordernde Bedingungen. Felsige Böden, steile Hänge und potenzielle Lawinen- oder Murenabgänge machen den Bau von Straßen, Tunneln und Stützmauern zu einer komplexen Aufgabe.
Dies zeigt sich beim Brenner-Basistunnel. Mit einer Länge von 64 Kilometern wird der Tunnel, nach seiner Fertigstellung, die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt sein. Das Projekt ist besonders anspruchsvoll, da der Tunnel durch die Alpen führt und die Bauingenieure nicht nur mit extrem harten Felsformationen, sondern auch mit komplexen hydrogeologischen Verhältnissen zu kämpfen haben.
Beim Bau kommen daher verschiedene Spezialtechniken zum Einsatz, um die herausfordernden Bedingungen zu bewältigen. Neben klassischen Sprengtechniken werden auch Tunnelbohrmaschinen verwendet, um den massiven Fels zu durchdringen. Ein besonders herausfordernder Aspekt des Projekts ist das Management der Wasserverhältnisse. Da der Tunnel die Einzugsgebiete zahlreicher Wasserquellen durchquert, muss das eindringende Wasser ständig überwacht und kontrolliert werden. Hierfür kommen Abdichtungstechniken und Drainagesysteme zum Einsatz, um den Tunnel trocken zu halten.

Abdichtungstechniken schützen vor Grundwasser

Hochwasser in Tunnel
Die Auswirkungen des September-Hochwassers sorgen vielfach für Probleme. Bahnhöfe, Baustellen und Tunnel standen beispielsweise entlang der Weststrecke unter Wasser und müssen nun saniert werden.

Auch in den urbanen Regionen, wie etwa in Wien, Salzburg und Graz, sind die geologischen Herausforderungen im Spezialtiefbau von Wasser, konkret der Grundwasserproblematik, geprägt. So ist in Wien, bedingt durch die Donau, der Grundwasserspiegel relativ hoch. Beim Bau von Tiefgaragen, U-Bahn-Stationen oder Hochhäusern müssen Bauunternehmen daher auf innovative Lösungen zurückgreifen, um das Grundwasser zu beherrschen.
Der Bau des Wiener Hauptbahnhofs ist ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Bewältigung von Herausforderungen im urbanen Spezialtiefbau. Bei diesem Großprojekt musste unter anderem eine tiefgehende Baugrube errichtet werden. Um die Baugrube zu stabilisieren und das Eindringen von Grundwasser zu verhindern, kamen verschiedene Abdichtungstechniken und Drainagesysteme zum Einsatz, etwa das sogenannte „Schlitzwandverfahren“, bei dem tiefe Wände in den Boden eingebracht wurden, um die Baugrube trocken und stabil zu halten. Diese Art von Spezialtiefbau ist auch in anderen Teilen Wiens zu finden, insbesondere bei der Errichtung von Hochhäusern entlang des Donauufers.
Ebenso herausfordernd ist die Errichtung von stabilen Gründungen für Hochhäuser und Brücken. Gerade wenn auf instabilen oder weichen Böden gebaut wird, müssen Pfahlgründungen eingesetzt werden, um das Gewicht des Bauwerks auf tragfähige tiefere Bodenschichten zu übertragen. Beim U-Bahn-Kreuz U2xU5 sorgt Bauer Spezialtiefbau beispielsweise mit rund 35.000 Metern an Bohrpfählen für die nötige Stabilität.

BIM: Werkzeug für moderne Projekte

Baustelle
Bohrpfähle geben Gebäuden Stabilität auf weichen Untergründen, wie sie beispielsweise im Bereich der Donau zu finden sind.

Die zunehmende Komplexität der Bauprojekte und die wachsenden Umweltanforderungen führen dazu, dass der Spezialtiefbau auf immer innovativere Technologien und Methoden zurückgreift. Damit zum Beispiel bei der Realisierung des Projekts „Süderweiterung Terminal 3“ des Flughafen Wien Hohlwand-Elemente der Schachtwände zügig versetzt werden können, kam eine strebenfreie Baugrubensicherung des „Typs 750“ von Twf mit Außengurtung zum Einsatz.
Daneben spielen digitale Werkzeuge wie Building Information Modeling (BIM) und umweltfreundliche Baumethoden eine wachsende Rolle in der Entwicklung moderner Bauprojekte. BIM hat sich etwa in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten digitalen Werkzeuge in der Bauwirtschaft entwickelt. Im Spezialtiefbau bietet BIM die Möglichkeit, komplexe Bauwerke und Bodenverhältnisse präzise zu modellieren, was eine genauere Planung und Umsetzung von Bauprojekten ermöglicht.
Mithilfe von BIM können Ingenieure und Bauunternehmen potenzielle Konflikte in der Planung frühzeitig erkennen und lösen, was die Effizienz und Kostensicherheit von Bauprojekten deutlich verbessert. „Die Koralmbahn ist […] ein Vorreiterprojekt bei der Digitalisierung. Weite Teile wurden per ‚Building Information Modeling‘ geplant und umgesetzt“, unterstreicht Pinka. Daher hätten beispielsweise der Bahnhof St. Paul im Lavanttal oder auch der Koralmtunnel jeweils einen detailgetreuen digitalen Zwilling, über den sämtliche Materialen, Mengen oder Leitungen abgerufen werden könnten.
Ein anderes Beispiel für die Anwendung von BIM im Spezialtiefbau ist die Erweiterung der Wiener U-Bahn-Linie U2. Die Planung der tiefen, unterirdischen Streckenabschnitte war aufgrund der dichten Bebauung und der teils instabilen Bodenverhältnisse eine große Herausforderung.
Mithilfe von BIM konnten die Planer genaue Simulationen der Bodenverhältnisse und der Auswirkungen des Baus auf die umliegenden Gebäude erstellen. So konnte das Risiko von Setzungen und Schäden an der umliegenden Infrastruktur minimiert werden.

Faktor Umweltschutz

Neben der Digitalisierung steht auch Umweltschutz im Fokus moderner Spezialtiefbauprojekte. Bauunternehmen setzen vermehrt auf umweltfreundliche Baumethoden, um den ökologischen Fußabdruck der Projekte zu reduzieren. Dies umfasst den Einsatz ressourcenschonender Materialien, die Reduktion von Emissionen durch den Einsatz energieeffizienter Maschinen und den Schutz des Grundwassers und Bodens.
Ein Ansatz zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks ist beispielsweise der Einsatz von recyceltem Beton. Beton ist einer der am häufigsten verwendeten Baustoffe im Spezialtiefbau, und die Wiederverwendung von alten Betonbauteilen reduziert den Bedarf an Primärrohstoffen und die Umweltbelastung erheblich. Durch den Einsatz von Recycling-Beton konnte in zahlreichen heimischen Projekten sowohl die Umweltbelastung gesenkt als auch die Kosten für die Materialbeschaffung reduziert werden.

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