Round Table
Aufbau und Wartung von Null-Grad-Dächern
Es war ein neues Talk-Format, das das Team der Fachzeitschrift Dach Wand am 19. September 2024 in Zusammenarbeit mit dem Dachspezialisten Bauder ausprobierte: Hochkarätige Expert*innen und ein kleiner Kreis von Entscheidungsträgern aus der Dach- und Baubranche diskutieren offen über ein aktuelles Thema.
Die dramatischen Unwetter Mitte September gaben dem gewählten Thema "Null-Grad-Dach" Rückendeckung. Einmal mehr hatte sich gezeigt, dass die fortschreitende Bodenversiegelung und die vorhandene Infrastruktur den Extremwetterereignissen immer öfter nicht standhalten können. Umso wichtiger werden neue Retentionsflächen.
In zwei Gesprächsrunden wurde das Null-Grad-Dach im neuen Bauder Werk in Bruck a. d. Leitha (NÖ) von allen Seiten beleuchtet. Im ersten Round-Table-Talk wurden das Bauteil Null-Grad-Dach, dessen Nutzen und Risiken sowie die veränderten Klimabedürfnisse erörtert.
In Gesprächsrunde zwei ging es tiefer in die Materie. Birgit Tegtbauer befragte ihre Gesprächspartner Peter Amann (Sachverständiger, Grünstattgrau), Hans Hafellner (Bauphysiker), Johannes Koller (Monitoring Spezialist), Holger Krüger (Bauder Deutschland) und Gerhard Wögrath (Verarbeiter) zu Planung, Aufbau, Verarbeitung, Wartung und Monitoring von gefällelosen Dächern.
Birgit Tegtbauer: Können Sie uns mehr zur Entstehung der Richtlinie "Retentionsdächer mit Unterschreitung der Regeldachneigung" sagen, die für Verarbeiter*innen und Planer*innen erarbeitet wurde?
Peter Amann:Bei der Erstellung der ÖNorm B 3691 hat es sehr lange Diskussionen gegeben, ob und wie ein "Null-Grad Dach" verankert werden soll. Die klare Expertenmeinung kam zum Schluss, dass es ein Gefälle braucht. Eine generelle Freigabe war und ist nicht das Ansinnen der Normschaffenden. Nach der Veröffentlichung dieser Normausgabe hat sich um den im Fachausschuss 1 tätigen Personen bei Grünstattgrau eine Gruppe gebildet, die das Merkblatt "Retentionsdächer mit Unterschreitung der Regeldachneigung" erarbeitet hat. Mit klaren Regeln, wie ein solches Dach ausgeführt werden muss.
Birgit Tegtbauer: Hat sich die Richtlinie in der Praxis bewährt? Hätten Sie als Verarbeiter Ergänzungen dazu?
Gerhard Wögrath: Die Richtlinie bietet eine sehr gute Grundlage für die Ausführung eines guten Flachdaches mit bestmöglicher Sicherheit. Ich denke aber, die Richtlinie bzw. generell das Null-Grad-Dach bzw. Retentionsdach ist in der Praxis noch nicht angekommen. Es wird aber in den nächsten Jahren immer wichtiger und auch seitens der Auftraggeber immer mehr gefordert werden. Als Grundlage für eine reibungslose Ausführung fehlt jedoch die Änderung der ÖNorm B 3691, um Rechtsicherheit für die Verarbeiter zu schaffen. Ergänzend würde ich den Schutz der Abdichtung bzw. die Dauer zwischen Fertigstellung der Abdichtung und Aufbau des Gründaches genau regeln. Die Richtlinie bewertet die Ausführung der Retentionsdächer als Umkehrdächer als nicht tauglich, ausführungsbedingt ist jedoch gerade bei Umkehrdächern die Abdichtung bestmöglich geschützt, und daher kommt es nur selten zu Beschädigungen während der Bauphase. Eine umgehende Herstellung des Gründachaufbaus sollte daher das Ziel sein.
Birgit Tegtbauer: Wie ist das Thema in den Normen in Deutschland geregelt?
Holger Krüger: Es gibt in Deutschland für Dachabdichtungen die DIN 18531 und die Flachdachrichtlinie, die parallel gelten und zwischen den Vertragspartnern vereinbart werden können. Beide Regelwerke fordern ein geplantes Gefälle von mindestens zwei Prozent, lassen aber auch heute schon gefällelose Abdichtungen mit Anstaubewässerung zu, regeln aber streng genommen noch nicht das Retentionsdach, weil dieser Begriff nicht genannt wird. Das wird in der jetzigen Überarbeitung beider Regelwerke berücksichtigt werden und die Retention wird ausdrücklich genannt und geregelt werden. Grob zusammengefasst gibt es seit Jahren in Deutschland Regelungen für Flächen mit Anstaubewässerung, die aber in den Regelwerken etwas versteckt sind und gesucht werden müssen. Die Vorgaben werden in Zukunft vermutlich eher gelockert und die Planung entscheidet über zusätzliche Maßnahmen wie zum Beispiel Abschottungen von Dämmstoffen.
Grundsätzlich können wir festhalten, dass Nacktdächer nach wie vor ein Gefälle von ca. zwei Prozent haben sollen, um das Niederschlagswasser sicher von der Abdichtung abzuleiten. Unter einem schweren Oberflächenschutz wie z. B. einem Gründachaufbau, auch in Kombination mit Retentionsboxen, kann die Abdichtung auch ohne Gefälle gebaut werden.
Eine sehr wichtige Botschaft für den Bauherren ist, dass er eine Sonderkonstruktion bekommt.
Birgit Tegtbauer: Welche Parameter müssen unbedingt eingehalten werden, um ein Null-Grad-Dach zu errichten?
Peter Amann: Eine sehr wichtige Botschaft für den Bauherren ist, dass er eine Sonderkonstruktion bekommt. An erster Stelle steht die Freigabe des Abdichtungsherstellers und die Schulung der Ausführenden vor Ort. Diese Sonderkonstruktion hat zusätzlich die Parameter Untergrund, Vorbereitung für die Abdichtung, Materialien für den Aufbau und spätere Wartung zu erfüllen.
Birgit Tegtbauer: In der Branche hält sich recht hartnäckig die Meinung, dass durch Stauwasser bauphysikalische Risiken entstehen. Können Sie das bestätigen?
Johann Hafellner: Es gilt hier prinzipiell zu sagen, dass ein Flachdach auf Grund der vielen Randbedingungen ein äußerst komplexes Bauteil ist. Auf das Flachdach wirken Außen- und Innenklima und es besteht aus den unterschiedlichsten Materialien, welche komplexen Verhaltens- und Versagensmechanismen folgen. Daher kann Stauwasser natürlich zu bauphysikalischen Risiken führen, aber bei korrekter Planung und Ausführung führt Stauwasser bei bestimmten Flachdächern nicht zu schädigendem Verhalten für das Gebäude.
Birgit Tegtbauer: Herr Krüger, Sie beziehen Ihre Erfahrungen aus Deutschland und den Nachbarländern. Was können Sie aus Ihrer internationalen Erfahrung berichten: Was läuft gut, wo gibt es Probleme?
Holger Krüger: Dazu fällt mir die Schweiz ein: Hier kommt die Retention immer mehr, allerdings noch nicht mit Retentionsboxen, sondern eher klassische Gründachaufbauten mit Wasserspeicherplatte und Abflussverzögerung. Gemeinden geben z. B. eine maximale Wassermenge vor, die in den Kanal geleitet werden darf. Gefällelose Dächer werden seit vielen Jahren gebaut und sind erlaubt, mit Einschränkungen bzw. zusätzlichen Maßnahmen wie etwa einem schwerem Oberflächenschutz, aber nicht bei Flächen mit Gehbelägen oder auch Abschottungen der Dämmstoffquerschnitte.
Birgit Tegtbauer: Welche sind die häufigsten Fragen zum Null-Grad-Dach, die immer wieder von Planern und Ausschreibern, aber auch von Verarbeitern, gestellt werden?
Holger Krüger: Die häufigste Frage ist: Wo steht das? Weist mir bitte nach, dass ich gefällelos bauen kann. Planer und Verarbeiter brauchen die Sicherheit, gefällelos bauen zu dürfen. Oft wird auch gefragt, wie zuverlässig die Konstruktionen sind oder auch ob zusätzliche Maßnahmen nötig sind.
Birgit Tegtbauer: Kann man messtechnisch die erhöhten Risiken eines Null-Grad-Daches minimieren?
Johannes Koller: Ja, gewiss! Die Risiken eines Flachdaches generell und die eines Null-Grad-Daches im Besonderen sind gegeben. Wir von der BMONC GmbH verstehen uns als Partner des Handwerks und der Ausführenden, um deren Haftungsrisiken zu minimieren. Wir bieten den Ausführern ein Monitoring-System, das negative Trends in der Feuchteentwicklung des Null-Grad-Daches erkennt. Die Zeitreihen der Messdaten geben nicht nur einen Blick in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft. Mithilfe von Maschine Learning können die Daten in die Zukunft, vorausschauend, extrapoliert werden. Vorausschauende Wartung gibt Einblick in die zu erwartende Feuchteentwicklung des Daches. Der Nachweis von Veränderungen, z. B. durch Nachrüstungen und Aufbauten am Flachdach, kann einfach erstellt werden. Die Risiken eines Null-Grad-Daches kann man durch Feuchtemessungen und Monitoring sicher minimieren, aber logischerweise nicht beheben.
Birgit Tegtbauer: Was ist dafür notwendig?
Johannes Koller: Sensoren. Technisch werden sehr robuste, für den Einbau in den Isolierkörper des Dachaufbaues geeignete Feuchtigkeitssensoren und Temperatursensoren benötigt. Diese werden in den Dachaufbau integriert. Die Sensoren sollten jahrelang wartungsfrei die Daten erfassen und senden. Zudem benötigt man eine Messdatenplattform. Die Daten der Sensoren pro Objekt sammeln sich in einer Zeitreihendatenbank. Die "openBMONC" Messdatenplattform etwa übernimmt die Administration der Sensoren, die Visualisierung der Feuchtigkeitsentwicklung. Periodische Datenberichte und Schwellwertüberschreitungen werden proaktiv gemeldet.
Durch Monitoringsysteme lassen sich nicht nur aktuelle Bauteilzustände betrachten, sondern auch mögliche zukünftige Versagensszenarien prognostizieren.
Birgit Tegtbauer: Wäre es für die Bauphysik von Vorteil, wenn man auch von bestehenden Flachdachkonstruktionen Feuchte- und Temperaturdaten erhalten würde?
Johann Hafellner:Daten der Randbedingungen, also das Mikroklima vom Innenraum bzw. das Außenklima des Gebäudestandortes in Kombination mit den Sensordaten aus dem Bauteil, sind sehr sinnvoll. Durch solche Monitoringsysteme lassen sich nicht nur aktuelle Bauteilzustände betrachten, sondern auch mögliche zukünftige Versagensszenarien prognostizieren. Das gibt allen Beteiligten Sicherheit für die Dauerhaftigkeit der Gebäudehülle.
Birgit Tegtbauer: In der Richtlinie werden Dichtheitsprüfungen von Abdichtungen gefordert. Welche Techniken haben sich dafür am Markt etabliert?
Peter Amann: Die gängigsten Techniken sind erstens die mechanische Prüfung, bei der jede Naht mit einem Nahtprüfer geprüft wird. Beim Hochvoltsytem wird unter der Abdichtungsbahn ein elektrisch leitendes Vlies verlegt und nach der Verlegung der Abdichtungsbahn mit einem Kupferbesen die komplette Dachfläche geprüft. Bei der dritten Möglichkeit, der Rauchgasprüfung, wird in den Dachaufbau Rauchgas eingeführt.
Birgit Tegtbauer: Aus der Sicht des Handwerkers: Wie gehen Sie bei der Wartung vor? Bei Vorzeigeobjekten führen diese Dachdecker bzw. Abdichter und Gärtner durch. Wie sieht es in der Praxis aus? Bieten Sie Wartungsverträge aktiv an und wird das Angebot angenommen?
Gerhard Wögrath:Wartungen werden von uns aktiv angeboten und empfohlen. Der Privatkunde ist aber teilweise schwer vom Nutzen der Dachwartung zu überzeugen. Dachwartungen werden größtenteils von Hausverwaltungen, Bauträgern und Firmenkunden beauftragt. Wir empfehlen Dachwartungen grundsätzlich ein Mal im Jahr bzw. nach schweren Unwettern und Sturm. Bei Retentionsdächern und Null-Grad-Dächern ist das meiner Meinung nach Pflicht für eine einwandfreie, dauerhafte Funktion. Das größte Problem in der Praxis ist, dass die Dachwartungen nicht von Fachleuten, sondern oft von Reinigungsfirmen durchgeführt werden. Terrassen und extensive Gründächer sollten vom Dachdecker bzw. Spengler gewartet werden. Die Wartung von Retentionsdächern oder Dachgärten würde ich gemeinsam mit dem Gärtner empfehlen.
Als Grundlage für eine reibungslose Ausführung eines Null-Grad-Daches fehlt die Änderung der ÖNorm B 3691, um Rechtsicherheit für die Verarbeiter zu schaffen.
Fazit: Bedarf an Rechtssicherheit
Diese Forderung von Gerhard Wögrath kann als Conclusio der beiden Round-Table-Gespräche gesehen werden. Wir brauchen Retentionsdächer. Auch Planer*innen und Verarbeiter*innen würden gerne Null-Grad-Dächer ausführen, brauchen dazu aber Rechtssicherheit. Wir bleiben am Thema dran!