Bodenverbrauch

Viel Boden – wenig Fakten

Bodenversiegelung
11.09.2024

Das Thema Bodenverbrauch wird im Wahlkampf zum Politikum. Fakten spielen dabei wenig Rolle. Dabei ist der Gegensatz zwischen Umweltpolitik und Bauwirtschaft geringer als geglaubt – meint der Bauforscher Wolfgang Amann: Er ist überzeugt, dass die Entsiegelung eine Chance für die Bauwirtschaft ist.
Thema Bodenverbrauch wird zum Politikum.
Das Thema Bodenverbrauch wird zum Wahlkampfthema.

Es ist Wahlkampf. Für die Generalsekretärin der Grünen, Olga Voglauer, offenbar der richtige Zeitpunkt, um „ein für alle Mal klarzustellen: Österreich gehört im Europavergleich zu den traurigen Spitzenreitern beim Zubetonieren.“ Es sei wichtig, so Voglauer vor kurzem in einer Aussendung weiter, endlich mit den „Mythen um den Bodenverbrauch“ aufzuräumen.

Dummerweise ist ihre Aussage genau ein ebensolcher – ein Mythos also. Zur Erklärung: Unter Bodenverbrauch versteht man die Versiegelung des Bodens durch Bauwerke wie Gebäude oder Straßen, sodass kein Niederschlag mehr in ihn eindringen kann. Nach Daten des Bundesamts für Eich- und Vermessungstechnik und des Umweltbundesamts waren in Österreich im Jahr 2023 exakt 3,6 Prozent der Landesfläche versiegelt. Die jährliche zusätzliche Versiegelung lag bei 0,02 Prozent. „Im Vergleich zu den Nachbarländern geht Österreich sorgsam mit den Bodenressourcen um“, meint der Marktforscher Andreas Kreutzer, der sich intensiv mit der Materie befasst hat. Die Zahlen bestätigen: In Deutschland sind 6,5 Prozent der Landesfläche versiegelt, in der Schweiz 4,3 und in Italien 3,8. Kreutzer: „Die Grünen argumentieren völlig faktenbefreit.“

600.000 Wohnungen und 2,5 Hektar

Eine ganz bestimmte Forderung der Grünen, die sich auch in der Regierungsvereinbarung der noch amtierenden Koalition befindet, sorgt für besonders heftige Diskussionen. In absoluten Zahlen werden in Österreich derzeit pro Tag rund 11 Hektar Boden versiegelt. Die Grünen wollen diesen Wert auf 2,5 Hektar limitieren. „Nur mit verbindlichem Bodenschutz können wir das rücksichtslose, sinnlose und überbordende Zubetonieren unserer Heimat stoppen“, so die Bodenschutzsprecherin der Partei Uli Böker. Etwaige Sorgen um die Bauwirtschaft oder die wohnungssuchende Bevölkerung wischt die Politikerin vom Tisch: „Mit einem 2,5-Hektar-Ziel beim Bodenverbrauch könnten nach wie vor 600.000 Wohnungen und 20.000 Kindergärten pro Jahr gebaut werden.“

So gut das klingt – auch das stimmt leider nicht. Und zwar überhaupt nicht. Darauf weist Marktforscher Kreutzer hin: 600.000 Wohnungen entsprechen in etwa der gesamten Wohnbauproduktion der vergangenen zehn Jahre und 20.000 Kindergärten etwa dem Doppelten des aktuellen Bestands. Kreutzer ist Autor einer Studie, die er im Auftrag der Bundesinnung Bau erstellt hat. Bundesinnungsmeister Robert Jägersberger vor einigen Monaten bei der Präsentation der Studie: „Uns war es wichtig, mit der Vermischung von Zahlen, Begriffen und Behauptungen aufzuräumen und die Fakten auf den Tisch zu legen – so wie sie sind.“

Die Studie befasst sich mit den möglichen Konsequenzen einer Umsetzung des 2,5-Hektar-Ziels. Das Ergebnis: Die Flächen für Betriebsansiedelungen und für den Ausbau bestehender Firmenstandorte müssten um rund 90 Prozent gekürzt werden. Das Gleiche gilt für Einrichtungen der Infrastruktur. Zudem wäre der Neubau von Einfamilienhäusern massiv beschränkt. „Im Durchschnitt könnte pro Gemeinde nicht einmal mehr ein Haus pro Jahr auf unbebautem Grund errichtet werden“, so Studienautor Kreutzer. Die potentiellen Folgen für Wirtschaft und Bevölkerung sind gravierend: Laut Studie stehen rund 330.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Darüber hinaus müssten wohl die meisten Österreicher auf ihr Lebensziel – ein eigenes Haus – verzichten. „Ich frage mich, warum die Grünen so leichtfertig mit dem Wohl unserer Wirtschaft und den Lebenszielen vieler Österreicher umgehen?“, meint Kreutzer.

Ob er auf diese Frage wirklich eine Antwort erwartet, ist unklar. Klar ist dagegen, dass sich die meisten politischen Akteure und Vertreter der Bauwirtschaft zum sparsamen Gebrauch des Bodens bekennen. Denn niemand bestreitet ernsthaft, was ein versiegelter Boden für das ökologische System bedeutet: Er kann kein Wasser speichern. Der Grundwasserspiegel sinkt. Seen trocknen aus. Zudem führen versiegelte Flächen zu einem Verlust an Biodiversität. Die Staaten der EU haben daher vereinbart, den Bodenverbrauch deutlich zu reduzieren. Heftig diskutiert wird allerdings, wie und mit welchen Mitteln das Ziel verfolgt werden soll.

Wolfgang Amann, Geschäftsführer des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen (IIBW) weist darauf hin, dass der Gegensatz zwischen Umweltpolitik und Bauwirtschaft viel geringer sein könnte, als viele glauben: „Es geht darum, bewusst mit den Bodenressourcen umzugehen, ohne dabei die Notwendigkeit von Bautätigkeit zu vernachlässigen.“ Aus seiner Sicht sollte man nicht nur darüber nachdenken, wie man bei neuen Bauvorhaben möglichst wenig Boden verbraucht, sondern auch darüber, wie man bereits versiegelte Flächen wieder entsiegelt. „Die Entsiegelung von Flächen ist eine riesige Geschäftschance. Hier werden in Zukunft enorme Investitionen notwendig sein. Das bietet Möglichkeiten für die ausführenden Bauunternehmen und die Bauproduktehersteller“, meint Amann. „Die Entsiegelung ist keine Bedrohung für die Bauwirtschaft, sondern eine große Chance.“

Die Palette der Möglichkeiten für derartige Entsiegelungen ist umfangreich: Sie reicht von Umwidmung und Abriss von Gebäuden oder Autostellflächen, die nicht mehr benötigt werden, bis hin zum Austausch von versiegelten Asphaltflächen durch wasserdurchlässige Produkte aus Kunststoff, Ziegel oder Beton. Amann: „Hier muss und kann noch weiter geforscht und entwickelt werden. Technologisch ist sicher noch viel mehr möglich.“

Der Bauforscher geht bei seinen Überlegungen über technische Innovationen hinaus. Er hält es für denkbar, dass man „Versiegelungsrechte“ definiert und sie zu einem Gut macht, das etwas kostet. Das könne folgendermaßen funktionieren: „Wenn jemand mit einem Bauvorhaben eine Fläche versiegeln möchte, dann muss er dafür ein Versiegelungsrecht erwerben“, meint Amann. „Dafür könnte es zwei Möglichkeiten geben – entweder er zahlt dafür eine Gebühr, oder er entsiegelt woanders eine entsprechend große Fläche nach klar definierten Qualitätskriterien.“ Im Idealfall, so Amann weiter, „entwickelt sich ein Markt, auf dem Versiegelungsrechte bepreist und gehandelt werden – so wie das beim Emissionshandel seit Jahren gut funktioniert.“

Der IIBW-Chef ist nicht allein mit seinen Ideen. Er gehört der Initiative „Bauen ohne Boden“ an – einem Zusammenschluss von Expert*innen aus den Bereichen Bauwirtschaft, Infrastruktur, Planung und Wissenschaft. Die Initiative hat ein „10-Punkte-Programm“ entwickelt, mit dem sie nun breit an die Öffentlichkeit treten möchte, und das der Bauzeitung bereits vorliegt. Dieses Programm besteht aus Vorschlägen, wie sich der sparsame Umgang mit der Ressource Boden mit einer regen Bautätigkeit vereinbaren lässt. Die zehn Punkte umfassen Maßnahmen zur Neuordnung der Kompetenzen in der Bodenpolitik, die derzeit reichlich verworren bei Bund, Ländern und Gemeinden liegen. Vorgeschlagen werden Reformen im Raumordnungs- und Grundrecht, steuerliche Instrumente und konkrete Ansätze zur Umsetzung.

Einer dieser Punkte widmet sich dem Thema Brachflächen. Die Initiative fordert „eine systematische Identifizierung und Katalogisierung von Leerständen und Brachflächen, um deren Potenziale voll auszuschöpfen“. Die Nutzung dieser Flächen soll Vorrang vor Neuversiegelung haben. Bei der Suche nach einer derartigen Brachfläche ist die LZH Group bereits fündig geworden. Das Unternehmen hat sich auf ressourcenschonenden Wohnbau spezialisiert. Es hat in Klagenfurt eine nicht mehr genutzte Industrieliegenschaft mit 6000 m² samt alter Halle und großen asphaltierten Flächen erworben. Dort sollen nun 48 Wohnungen mit 2.800 m² Nutzfläche entstehen. Die Nutzung von Brachflächen wird aus Sicht von LZH-Geschäftsführer Rafael Lughammer im Wohnbau immer wichtiger werden. „Wir setzen verstärkt Projekte mit Brachflächen oder Grundstücken mit Altbestand um, der technisch nicht mehr nutzbar ist. Hier sehen wir ein großes Potenzial.“

Branchen
Bau