Austrian Standards

Sauber Sanieren

Fachveranstaltung
28.05.2024

Austrian Standards lud zum sechsten Baustammtisch. Das Thema: Wie lassen sich ökologische und ökonomische Anforderungen bei der Sanierung von Gebäuden vereinbaren?

Spätestens 2050 ist es soweit: Bis dahin soll die EU vollständig dekarbonisiert sein. Das gilt auch für die Bauwirtschaft. Und das gilt auch für bestehende Gebäue. Dies wird in der Novelle der EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) bekräftigt, die vor einigen Wochen beschlossen wurde. Die Bauwirtschaft darf sich also auf neue Impulse freuen. Aber sie steht auch vor großen Herausforderungen – vor allem bei der Sanierung des Altbestands: Um die Klimaziele zu erreichen, ist es notwendig, dass in Österreich pro Jahr drei Prozent der bestehenden Gebäude thermisch saniert werden. Laut einer Studie des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen (IIBW) verharrt die Sanierungsquote aber seit 2015 hartnäckig bei 1,5 Prozent. Experten hoffen, dass sich das bald ändern könnte: Das erhöhte Bewusstsein um die Klimaerwärmung und die gestiegenen Energiekosten in Folge des Ukraine-Krieges haben zu einem Umdenken in der Bevölkerung geführt. Zudem wurden die Förderungen der öffentlichen Hand vor kurzem deutlich aufgestockt.

Vor diesem Hintergrund widmete die Standardisierungsorganisation Austrian Standards im Mai eine Podiumsdiskussion dem Thema „Sanierung“. Der sechste „Austrian Standard Baustammtisch“, der von Bauzeitung-Chefredakteur Martin Hehemann moderiert wurde, war hochkarätig besetzt. Die lebhafte Diskussion wurde von 250 Gästen live und digital verfolgt. Das Thema: Lassen sich ökonomische und ökologische Anforderungen bei den notwendigen Sanierungsmaßnahmen unter einen Hut bringen? Und wenn ja, wie?

Sportlich, aber notwendig

Karin Kieslinger bezeichnete die Aufgabe als sportlich, aber notwendig. Die Geschäftsführerin der EGW Erste gemeinnützige Wohnungsgesellschaft, die selbst für einen großen Gebäudebestand verantwortlich ist, wünschte sich einen positiveren Umgang mit Sanierungs- und Renovierungsthemen. Nicht nur die Eigentümer*innen, so Kieslinger, sondern auch die Nutzer*innen müssten die notwendigen Maßnahmen mittragen: „In der Diskussion gibt es sehr viel Negativismus. Wir sollten auch die höhere Wohnqualität, die durch Sanierung möglich ist, zum Argument machen. Saniertes Wohnen ist nicht nur klimaeffizienter, sondern gerade auch für Bewohner*innen besser“, so Kieslinger.  „Wir müssen das Sanieren stärker forcieren als den Neubau, und zwar jetzt!“

Hier sind auch die privaten Immobilienbesitzer gefragt: Da waren sich die Teilnehmer*innen der Debatte einig – ebenso wie bei der Bedeutung, die eine attraktive Förderlandschaft dafür spielt. Im Rahmen der Veranstaltung wurden die Gäste befragt, was aus ihrer Sicht ausschlaggebend ist, um die Sanierungsquote zu erhöhen. Die beiden meistgenannten Antworten: Die grundsätzliche Bereitschaft dazu und ausreichende Förderungen. Dass die aktuellen Möglichkeiten gerade auch für Eigenheimbesitzer*innen attraktiv sind, bestätigte Experte Helmut Schöberl. Der Geschäftsführer des Bauphysikbüros Schöberl & Pöll: „Wir haben zum Beispiel in Wien eine ganz hervorragende Fördersituation. Im unteren Einkommensdrittel sind bei Dekarbonisierung bis zu 100 Prozent Förderung derzeit österreichweit möglich.“

Für Aramis Glück, den Fachbereichsleiter Baumanagement bei Wiener Wohnen, ist die Entwicklung durchwegs positiv,  wenngleich sie noch in den Kinderschuhen stecke. Viele Potenziale werden aus seiner Sicht erst in den nächsten Jahren sicht- und damit bearbeitbar. „Wir sind gefordert, intelligent an die Aufgaben heranzugehen. In den letzten Jahrzehnten wurde oft schnell und mit hohem Energieeinsatz – Energie war nicht teuer – ohne Blick auf die Lebensdauer errichtet“, meinte Glück. „Hier kann noch Einiges auf uns zukommen. Die Chancenvielfalt, wie wir Dinge besser machen können, ist enorm.“

Glück verwies auf neue Technologien und Baustoffe, die im Rahmen der nun verordneten Sanierungswelle in den Mittelpunkt rücken. Auch die in einigen Jahren kommende OIB-Richtlinie 7 werden den Fokus noch klarer auf Materialfragen richten.

Zudem bietet die Digitalisierung nach Meinung der Expertinnen und Experten völlig neue Möglichkeiten – allen voran die Künstliche Intelligenz (KI). Die endgültigen Entscheidungen werden dabei aus Sicht von Caroline Palfy, CEO des Projektentwicklers Loud 4 Planet, aber weiterhin nicht von der KI gefällt werden: „Nachhaltigkeit und Digitalisierung gehen für uns Hand in Hand. Ich benötige trotz Big Data und KI noch schlaue Menschen, die diese Daten in kluge Entscheidungen überführen und dann auch umsetzen können.“

Zu diesen klugen Entscheidungen zählen auch die Antworten auf grundsätzliche Fragen. Zum Beispiel:  Wie mit dem Thema Bodenversiegelung umzugehen ist. „Die ökologisch teuerste Art zu bauen ist das Bauen auf der grünen Wiese. Wir haben die technischen Möglichkeiten, die Erweiterung von schon bebauten Flächen gut zu nutzen“, meinte Palfy. Einen ähnlichen Standpunkt vertrat EGW-Geschäftsführerin Kieslinger, die mit ihrem Unternehmen beschlossen hat, nur noch Baugründe anzukaufen, die bereits an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen sind.

Bei der Dekarbonisierung steht die Reduktion der Heiz- und Kühlenergie im Mittelpunkt. Denkmalschutz-Experte und Denkmalbeirat Friedrich Idam verwiese hier auf historische Technologien, die als Inspiration für die Entwicklung sogenannter „mittlerer Technologiestufen“ dienen können. Man können hier auf teilweise über Jahrzehnte erprobte Erkenntnisse zurückgreifen, deren Rebound-Effekte schon bekannt und damit einpreisbar seien. „Gerade die historische Bausubstanz ist in der Lage, Hitzespitzen sehr gut abzufedern“, betonte Idam und meinte: „Auch bei ganz neuen Technologien wird es Rebound-Effekte geben, die wir heute noch nicht kennen. Suchen und nutzen wir auch Vorteile mittlerer Technologiestufen.“

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