Rechtstipp
Ausgleichsanspruch auch bei nicht bewilligten Bauten?
Als eine der nachbarrechtlichen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts regelt § 364b ABGB das Verbot, dass ein Grundstück nicht in jener Weise vertieft werden darf, wodurch der Boden oder das Gebäude des Nachbarn die erforderliche Stütze verliert. Damit soll im Nachbarschaftsverhältnis gewährleistet werden, dass es zu keinen beeinträchtigenden Abgrabungen bzw. statisch unbestimmten Baumaßnahmen hinsichtlich des angrenzenden Grundstücks kommt. Aus dieser Bestimmung resultiert ein verschuldensunabhängiger Ersatzanspruch gegen den schädigenden Nachbarn. Ob ein solcher Anspruch auch dann besteht, wenn das betroffene Bauwerk ohne die dafür notwendige Baubewilligung errichtet wurde, entschied der OGH in seiner Entscheidung 6 Ob 8/21a.
Entscheidung OGH 6 Ob 8/21a
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem sich ein Einfamilienhaus befindet. Auf der Südseite des Hauses errichtete der Kläger ohne Einholung einer Baubewilligung eine Terrasse, die bis zur Grundstücksgrenze reicht. Die beiden Beklagten sind jeweils Eigentümer des im Süden angrenzenden Grundstücks, worauf sich eine – an die Terrasse des Klägers angrenzende – zum Grundstück der Beklagten hin abfallende Böschung befindet. Gemäß einem Baubewilligungsbescheid aus dem Jahr 1978 dient der unmittelbar angrenzende Teil des Grundstücks der Beklagten dem öffentlichen Verkehr als Aufschließungsstraße für mehrere Parzellen. Die Bezirkshauptmannschaft forderte die Beklagten mit Bescheid auf, die im Bauplatzbewilligungsbescheid vorgeschriebene Straßenbreite von 6m herzustellen. Hierfür war die Abtragung der Böschung notwendig. Die beiden Beklagten trugen daraufhin die Böschung, ohne Beiziehung von Fachleuten, händisch ab, wodurch sich die Böschungsneigung auf bis zu 90 Grad erhöhte. Dies führte zu unerwarteten Setzungen der angrenzenden Terrasse des Klägers, woraufhin dieser die Wiederherstellung der Sicherheit der Terrasse, die Unterlassung künftiger Veränderungen des Hangverlaufs, sollte damit eine Gefährdung dessen Grundstücks einhergehen, sowie die Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus der Abgrabung forderte. Die Beklagten entgegneten, dass die Terrasse nicht dem Stand der Technik entspräche und es an der dafür notwendigen Baugenehmigung fehle. Jedenfalls müssten über einen signifikanten Teil der Terrasse Sicherungsmaßnahmen durchgeführt werden, um deren Stabilität wieder herzustellen. Auch ist mit künftigen Schäden an der Terrasse zu rechnen.
Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht folgten der Ansicht, dass die Beklagten durch die Vertiefung ihres Grundstücks die Stütze der Liegenschaft des Klägers entzogen haben und dieser trotz fehlender Baugenehmigung für die Terrasse nach § 364b ABGB die Wiederherstellung und Unterlassung fordern könne. Ferner haben sie gegenüber dem Kläger für die Schäden zu haften. Auch der OGH bestätigte in seinem Erkenntnis, dass fehlende Baubewilligungen für Bauten, denen durch Baumaßnahmen am Nachbargrund die Stütze entzogen wurde, einen Anspruch nach § 364b ABGB nicht ausschließen. Weiters führte der OGH aus, dass eine Haftung nach §§ 364b i. V. m. 364a ABGB für Substanzschäden am Gebäude nur dann ausgeschlossen sei, wenn die Schäden am Gebäude auch auf Baugebrechen zurückzuführen sind, die schon als solche, also unabhängig von der Einwirkung vom Nachbargrund, wegen der Gefährdung von Personen oder Sachen zu einem Einschreiten der Baubehörde führen müssten. Der Kläger konnte seine Ansprüche daher erfolgreich durchsetzen.
Fazit
Die Entscheidung des OGH zeigt, dass nachbarrechtliche Ersatzansprüche nicht bloß für Schäden an ordnungsgemäß bewilligten Bauwerken geltend gemacht werden können, sondern auch bei jenen Bauvorhaben, die ohne Baubewilligungen errichtet wurden.