Zirkularität willkommen
Zirkularität, Kreislaufwirtschaft und Cradle-to-Cradle sind Begriffe eines gängigen Nachhaltigkeitszuganges, deren Wurzeln in den Ursprüngen anthropogener Bauaktivitäten zu finden sind. Eine Zeit, in der der Mensch im Einklang mit der Natur seine gebaute Umgebung erschaffen musste. Eine Zeit, in der es selbstverständlich war, Rohstoffe aus der Umgebung zu entnehmen, diese zu Behausungen zu formen und bei Abbau das Material einfach wieder zu verwenden. Womöglich eine zu einfache Erklärung der ursprünglichen Zirkularität, jedoch auch ein Sinnbild der Einwegwirtschaft global transportierter Materialien sowie standardisiert wiederholter Bauprozesse, in dem wir heute gefangen sind. Letztlich der Schlussstrich des Einklangs zwischen Umgebung und Gebautem, der mit Industrialisierung, dem Wohlstand sowie dem daraus folgenden Komfort unsere etablierte Wegwerfgesellschaft resümiert. Frei nach dem Motto, man nehme, nutze und verwerfe. Gegenbewegungen gab es zahlreiche. Die Durchschlagkraft auf institutioneller Ebene blieb jedoch aus. Als allzu „öko“ und „alternativ“ wurden zirkuläre Bestrebungen abgetan. Nicht so im aktuellen Diskurs und insbesondere seit die Klimakrise eine Reaktion auf allen institutionellen Ebenen einfordert. So auch in Wien.
Umdenken gefragt
Das Bauforschungsteam um Bernhard Jarolim in der Magistratsdirektion Bauten und Technik der Stadt Wien erkannte die Dringlichkeit der strategischen als auch operativen Implementierung von Zirkularität im Bauwesen während des Aktualisierungsprozesses der Smart City Wien Rahmenstrategie 2018–2019. Daher wird im Dezember die Plattform „DoTank Circular City 2020–2030“ gelauncht. Oberstes Ziel? Einen neuen Nachhaltigkeitsgedanken in Richtung zirkulärer Bauwirtschaft zu etablieren. Projektleiterin und Koordinatorin für Kreislaufwirtschaft im Bauwesen der Stadt Wien, Anna-Vera Deinhammer, die auf ihre extensive Forschung im Bereich des integralen Bauens zurückgreifen kann, hat alle Hände voll zu tun. Das Interesse ist groß, die Stakeholderprozesse zahlreich und die Zeit knapp. Denn „im Moment wird am neu zusammengesetzten interdisziplinären Team, das transdisziplinäre Prozesse ermöglichen und Pilotprojekte intensiver betreuen soll, gefeilt. Sobald das Team einigermaßen eingerichtet ist, wird es Anfang 2021 zum Schulterschluss mit den Vertretern aus der Planung und der Bauwirtschaft kommen“, so Deinhammer.
Trotz dieses stufenweisen Hochfahrens des DoTanks stehen bereits konkrete Umsetzungsvorhaben an. Beispielsweise mit den Wiener Linien und dem österreichischen Siedlungswerk im Rahmen von WienNeu+, die aktuelle Stadterneuerungsoffensive Wiens, da der Wille zu zirkulär geplanten Projekten gegeben ist und eine gute Datengrundlage bezüglich Materialbank samt Exportierung in die Finanzbuchhaltung vorliegt. Eine wichtige wirtschaftliche Abbildung, da dem klassischen Grundstückswert auch der wiederverwendete Materialwert hinzugefügt werden kann. Diese Form des Anlagevermögens würde, nach Deinhammer, automatisch den Willen zur Verarbeitung qualitativ hochwertiger Materialien steigern. Ein Schlüsselargument für die Bauindustrie, das nachhaltige Wirtschaften, aber auch ein sogenannter „Game Changer“ für die Planung. Insbesondere hinsichtlich der aufzuwendenden finanziellen Mittel, da integrale Planung, um eine Qualität der Projektvarianten zu garantieren, kostet. Eine neuartige Win-win-Situation, wodurch neben der Bauindustrie die kleinste Komponente des Lebenszyklus, die Planung mit zwei Prozent, einen höheren Wert erfährt und somit bis auf vier Prozent ausgedehnt werden sollte, so die Expertin. Letztlich eine Planung, die für 80 Prozent der Folgekosten verantwortlich ist und deswegen eine höhere finanzielle Wertschätzung benötigt. Immerhin sei die Finanzierung – so unterstreicht die Projektleiterin – der ausschlaggebende Punkt des zirkulären Umdenkens.
Integral agieren
Die weitaus größere Herausforderung liegt, der Projektkoordinatorin des DoTanks zufolge, innerhalb des Lebenszyklus selbst. Insbesondere zwischen den Gewerken, wo stärker auf eine Kultur des Vertrauens und der Zusammenarbeit bzgl. Problemlösung unter den Planungsdisziplinen gesetzt werden muss. Dabei würde im Zuge eines integralen Planungsprozesses dem Architekturschaffenden die Rolle des Spiritus Rector, der/die Erste unter Gleichen, zuteil. Eine Rolle, die eine Planung eines Gebäudes für die Ewigkeit, samt Rückbaukonzept, bereits in der Entwurfsphase zu tragen hat und somit, laut Deinhammer, als Anwalt der Bauherrschaft bezeichnet werden kann.
Genius Loci neu interpretiert
Zur Neufindung des vitruvianisch geprägten Berufsbildes Architekturschaffender gesellt sich auch eine kontemporäre Interpretation des Genius Loci hinzu. Letzterer bezieht sich auf das Ziel der Wiener Smart City Rahmenstrategie 2030, in der standortgerechtes Planen als Standard integriert wurde. Eine zirkuläre Betrachtungsweise, die nicht nur mikroklimatische Bedingungen, sondern auch den Einsatz von lokalen Materialien und Bauelementen berücksichtigt. Wenn man so will, ein Loci des Vernakulären, um den Einsatz ortsspezifischer sowie kreislauffähiger Ressourcen zu forcieren.
Klarerweise geht eine derartige Betrachtung tiefer. Anna-Vera Deinhammer ist deshalb im engen Kontakt mit der Wissenschaft, so etwa mit dem Institut für Anthropogene Ressourcen der TU Wien, wo eine Recycelbarkeit von Materialien ausgerechnet wird. Wonach zum Beispiel in urbanen Gebieten der Einsatz von Recyclingbeton, auch hinsichtlich der CO₂-Einsparung durch LKW-Fahrten sowie der Reduktion von Deponiematerial, sinnvoll erscheint. Abwägungen, die sehr mit den ortsspezifischen Eigenschaften des jeweiligen Bauvorhabens verbunden sind und somit auch mit der Baukultur des Lokalen zusammenhängen. Eine Baukultur, die durch die sinnvolle Zusammenführung von Material, Disziplin und Regularien wieder etwas zu sich findet. Wie in der Vormoderne eben, so die Auslegung der Projektkoordinatorin.
Umsetzbarkeit gewährleisten
Mitunter der Grund, weshalb die strategische Ausrichtung des DoTanks samt Aktionsplan und Governance das Herzstück der Plattform bildet. Ein Herzstück, das von einem Positionspapier „Wie Wien sich zirkulär entwickeln sollte“ bis Ende 2021 ergänzt wird. Parallel dazu gesellt sich die Methodenentwicklung, wie sich ein Zirkularitätsfaktor im Gebäude, unter Einbeziehung von CO₂-Einsparungen sowie Indikatoren zur Materialbank, ermitteln lässt. Dabei sollte der Faktor einfach zu bestimmen sein, um eine Umsetzbarkeit vom kleinen Architekturbüro bis zum größeren Bauträger zu gewährleisten. Um sich an diese Realitätsnähe heranzutasten, werden laufende Projektentwürfe der Stadt Wien einer Zirkularitätsprüfung unterworfen. Dabei sollen regulatorische Fragen so früh wie möglich behandelt werden, merkt Deinhammer an. Begleitet wird dieses Vorgehen von einer Überarbeitung der Fördermodelle, einer Erfahrungssammlung aus der Praxis, um die Regulative in Wettbewerben anzupassen sowie einer subsequenten Definition der Circular City Wien.
Umfassende Strategien, die eine breite Zugangsweise reflektieren, aktuell im Objekt noch verhaftet sind, jedoch auf die Stadt und auf das Städtische abzielen. Deshalb werden auch Szenarien durchgespielt, wie sich eine mögliche Kommunikation sowie Partizipation hinsichtlich zirkulärer Themen gegenüber einer breiten Öffentlichkeit gestalten lassen. Ein mit Spannung aufgeladener DoTank, der vieles vorhat, aber von einer gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeit getragen wird. Es geht schließlich um ein gesundes, qualitätsvolles Leben in unseren Räumen und um einen ressourcenschonenden Lebensstil. Einwegwirtschaft ade, willkommen Zirkularität.