Interview

“So werden wir es nicht schaffen“

Interview
28.05.2024

Alexander Passer, Inhaber einer Stiftungsprofessur für „Nachhaltiges Bauen“ an der Technischen Universität Graz, spricht darüber, was notwendig ist, damit die heimische Bauwirtschaft die Klimaziele erreicht.

Herr Passer, der europäische Green Deal gilt auch für die Bauwirtschaft: Bis 2050 sollen die Netto-CO2-Emissionen des Sektors auf null gesenkt werden. Wie gut sind wir in Österreich unterwegs, um dieses Ziel erreichen?
Alexander Passer:
Nicht so gut, wie es notwendig wäre. Wenn wir so weitermachen wie bislang, werden wir es nicht schaffen. In anderen Worten: Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, sind deutlich größere Anstrengungen und eine klare Strategie notwendig.

Können Sie das näher erläutern?
Passer: Nehmen Sie das Beispiel der Sanierung. Um das Net-Zero-Ziel zu schaffen, müssen alle bestehenden Gebäude saniert und dekarbonisiert werden. Derzeit dümpelt die Sanierungsquote aber bei rund einem Prozent herum. Bei diesem Tempo werden wir 100 Jahre benötigen, bis alle Gebäude saniert sind.

Gut, das ist zu langsam. Aber das Tempo wird sich jetzt vermutlich deutlich erhöhen. Bund und Länder haben die Förderungen für thermische Sanierungen signifikant angehoben.
Passer: Ja, die Fördergelder sind erhöht worden. Das ist gut. Aber es reicht nicht aus, um die Sanierungsquote in der notwendigen Geschwindigkeit und vor allem Qualität auf das notwendige Maß zu erhöhen. Es gilt Qualität vor Quantität. Ich sehe immer noch zwei Probleme. Erstens: Die Fördergelder sind hoch, aber nicht ausreichend hoch. Zweitens: Die Vorgaben für die thermische Sanierung sind zu wenig anspruchsvoll.

Wichtige Termine

Was meinen Sie damit?
Passer:
Die technischen Vorgaben, um eine Förderung zu erhalten, sind nicht hoch genug. Die Gebäude, die heute saniert werden, schaffen das Null-Emissionen-Ziel von 2050 nicht. Ein Stranded Investment könnte man vermeiden, wenn man gleich strengere Vorgabe anwendet und entsprechend fördert. Die EU fordert sogenannte „Nullemissionsgebäude“, auch im Bestand bis 2050. Das sind Gebäude, die eine sehr geringe Energiemenge benötigten und keine oder eine sehr geringe Menge an betriebsbedingten Treibhausgasemissionen verursachen.

Was müsste die öffentliche Hand aus Ihrer Sicht besser machen?
Passer: Es fehlt meines Erachtens an Weitblick und einer zielgerichteten Politik. Wenn ich das Ziel ernst nehme, bis 2050 beim CO2 klimaneutral zu werden, dann sollte das auch die verbindliche Vorgabe sein – auch für den Bestand. Ein bisserl daneben ist auch daneben. Es braucht eine schlüssige Strategie mit klaren Zielen, ausreichend Budgetmitteln und konkreten Maßnahmen, wie die Ziele erreicht werden sollen. Für den Bestand würde das Folgendes bedeuten: Es dürfen nur mehr Sanierungsvorhaben gefördert werden, die das Net-Zero-Ziel erfüllen.

Das klingt nach noch mehr Fördergeldern.
Passer:
Ich bin überzeugt davon, dass man die Anreize weiter erhöhen muss. Hier kann ich mir auch steuerliche Maßnahmen vorstellen. Wenn man heute ein Ein- oder Zweifamilienhaus Haus saniert, dann kostet das leicht 100.000 Euro. Man kann aber nur maximal 6.000 Euro steuerlich geltend machen. Das ist absurd wenig. Man sollte den gesamten Betrag steuerlich absetzen können, wenn man die Klimaziele jetzt schon erreicht – zum Beispiel über eine Laufzeit von zehn Jahren. Oder man sollte zumindest unbürokratisch die gesamte Mehrwertsteuer zurückbekommen. Damit könnte man einen kräftigen Impuls für Bauwirtschaft und die so dringend notwendigen Sanierungen von privaten Immobilien geben.

In Anbetracht der angespannten Budgetsituation der öffentlichen Hand stelle ich es mir nicht leicht vor, Fördermittel zu erhöhen – egal ob in Form von direkten Förderungen oder über die Steuer.  
Passer:
Das kommt darauf an. Bevor ich als Republik Österreich Strafen in Milliardenhöhe dafür zahle, dass ich vereinbarte Ziele zur CO2-Reduktion nicht einhalte, wäre es besser, das Geld dafür einzusetzen, dass ich diese Ziele erreiche. Das macht doch mehr Sinn. Zudem würden sich die Bürgerinnen und Bürger freuen, einen Teil ihrer Steuern zurückzuerhalten und für Klimaschutz zu investieren.

Wir haben bislang immer über das Jahr 2050 und das Net-Zero-CO2-Ziel gesprochen. Auf dem Weg dahin haben sich die EU-Mitgliedsstaaten allerdings auf wesentliche Meilensteine verständigt.
Passer:
Richtig. Und das erhöht die Notwendigkeit, eine klare Strategie zu entwickeln. Auf die Bauwirtschaft kommen einige wichtige Termine zu.

Welche sind das?
Passer:
Hier sind alle Arten von Emissionen relevant: die „grauen“ und die „betriebsbezogenen“.  Vereinfacht gesagt sind die grauen Emissionen jene, die bei der Herstellung der Baumaterialien, dem Transport und dem Bau des Gebäudes entstehen, und die betriebsbedingten jene, die beim Betrieb des Gebäudes emittiert werden – für Strom, Heizung und Kühlung. Bis zum 1. Jänner 2027 haben die Mitgliedsstaaten Zeit, einen Fahrplan zu veröffentlichen, in dem die Einführung von Grenzwerten für das  gesamte Treibhausgaspotenzial aller neuen Gebäude über ihren gesamten Lebenszyklus dargelegt wird. Wobei ein schrittweiser Abwärtstrend erforderlich ist. Ab 1. Jänner 2028 gilt dies für alle Neubauten mit mehr als 1.000 m², ab 2030 für alle neuen Gebäude. Die Bauherren müssen die Grenzwerte einhalten, um eine Baugenehmigung zu erhalten.

Mit welchen Maßnahmen lässt sich das Net-Zero-Ziel bis 2050 erreichen?
Passer:
Es gibt hier drei strategische Ansätze. Und nur eine Kombination aus allen dreien wird zum Erfolg führen. Der erste ist die „Effizienzstrategie“: Ich mache das Gleiche, nur effizienter. Das geht zum Beispiel durch bessere Dämmung. Der zweite Ansatz ist die „Konsistenzstrategie“: Ich mache Dinge anders – beispielsweise, indem ich eine Ölheizung durch eine Wärmepumpe austauche. Der dritte Ansatz ist einer, der oftmals falsch verstanden wird.

Lassen Sie mich raten: Verzicht?
Passer:
Genau das ist das Missverständnis. Ich meine einen Ansatz, der oftmals als „Verzicht“ wahrgenommen wird – die Suffizienzstrategie. Sie bedeutet: Man verwendet nur so viel wie notwendig. Das hat weniger mit Verzicht zu tun als mit Hausverstand. Man heizt zum Beispiel nur Räume, die man auch wirklich nutzt und lässt das Licht nicht sinnlos brennen. Das war früher völlig üblich, ist aber durch die billige Verfügbarkeit von fossiler Energie verlorengegangen. Ein anderes Beispiel: Heute heizen viele Menschen ihre Wohnung im Winter auf 24 Grad und kühlen sie im Sommer auf 20. Das ist natürlich Unsinn. Umgekehrt wäre es besser.

Wie gut ist die heimische Bauwirtschaft beim Thema Nachhaltigkeit gerüstet?
Passer:
Die Verantwortlichen haben erkannt, dass das Thema überlebenswichtig für sie ist. Die gesamte Industrie ist betroffen – die gesamte Lieferkette und alle Baustoffe. Ich bin davon überzeugt, dass die Bauwirtschaft in der Lage ist, nachhaltigere Lösungen anzubieten. Eines ist aber klar: Der Kunde muss diese Lösungen auch wollen. Und dafür benötigt es nicht nur Anreize.

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