Zementindustrie
Neues Leben für alte Mineralwolle
Der volle Name ist etwas sperrig: „CO₂-reduziertes Bindemittel durch thermochemische Konversion mineralwollabfallhaltiger Reststoffkombinationen.“ Das kommt nicht wirklich flüssig über die Lippen. Daher haben sich die Projektteilnehmer für eine Abkürzung entschieden: „Bitkoin“. Diese mag zwar irreführende Assoziationen hervorrufen, klingt aber eindeutig besser. So bemerkenswert wie der Name ist auch das Projekt selbst: Eine Gruppe von renommierten Forschungsinstituten und Unternehmen aus der Bauwirtschaft arbeitet daran, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem man aus Mineralwolleabfällen einen Ersatz für Hüttensand herstellt.
Her mit dem Hüttensand 2.0
Ein derartiges Verfahren wäre aus zwei Gründen sehr nützlich. Erstens: Ab 1. Jänner 2027 ist österreichweit die Lagerung von künstlichen Mineralfasern (KMF) und Mineralwolleabfällen auf Deponien verboten. Mineralwolle zählt zu den am häufigsten verwendeten Dämmstoffen für Gebäude. Abfälle entstehen beim Neubau in Form von Verschnitt oder beim Rückbau von bestehenden Gebäuden. Handelt es sich um ältere Gebäude, kann der Mineralwolleabfall sogar gesundheitsgefährdend sein.
Der zweite Auslöser für das Bitkoin-Projekt hat ebenfalls mit dem Thema Nachhaltigkeit zu tun: Bei der Herstellung von Zement wird sogenannter Hüttensand verwendet – ein anderer Name für Hochofenschlacke, die bei der Stahlproduktion entsteht. Durch den Einsatz von Hüttensand als Ersatzstoff für Klinker können zwar die CO₂-Emissionen bei der Zementproduktion gesenkt werden. Die Tage des Hüttensands sind aber in Europa durch die Umstellung der Stahlindustrie auf umweltfreundlichere Verfahren gezählt.
Wohin mit dem Mineralwolleabfall und woher mit dem Hüttensand? Beide Fragen sollen mit Bitkoin beantwortet werden. Mit dem Projekt Bitkoin „gehen wir einen wichtigen Schritt in Richtung nachhaltiger Abfallverwertung“, sagt Porr CEO Karl-Heinz Strauss. „Unser Ziel ist, aus Mineralwolleabfällen einen synthetischen Hüttensand herzustellen, der als CO₂-reduziertes Bindemittel in der Zementproduktion verwendet werden kann. Wir wollen den Hüttensand 2.0 entwickeln“, so Philipp Sedlazeck vom Lehrstuhl für Abfallverwertungstechnik und Abfallwirtschaft an der Montanuniversität Leoben (MUL), der das Bitkoin-Projekt leitet. Neben seinem Institut hat das Projekt weitere prominente Teilnehmer: die Porr Umwelttechnik, die Forschungseinrichtungen der Zementhersteller Holcim und Rohrdorfer, der Mineralwollersteller Saint-Gobain Austria, die TU Graz sowie der Lehrstuhl für Thermoprozesstechnik an der MUL.
Bitkoin wird von der staatlichen Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützt und läuft bis zum ersten Quartal 2026. Derzeit finden an der MUL Vorversuche statt. Die Mineralwolle wird mit unterschiedlichen Zusatzstoffen kombiniert und geschmolzen. Das Ziel ist die optimale Rezeptur für den Hüttensand 2.0 zu finden. Dabei ist es sehr wichtig, dass die Mineralwolleproben möglichst sauber sind, mit möglichst wenig Störstoffen oder Reststoffen. „Bei Mineralwolle aus einem abgerissenen Dachstuhl sind beispielsweise oftmals Nägel oder Holzreste enthalten“, erläutert Projektleiter Sedlazeck. „Je sortenreiner die Mineralwolle ist, desto leichter wird es für uns, die gewünschte Zielzusammensetzung zu erreichen.“ Die im Projekt verwendeten Abfälle werden daher zuvor im Recycling Center der Porr in Himberg in einer Aufbereitungsanlage für KMF behandelt und zerkleinert.
Ein weiterer wichtiger Baustein des Projekts besteht darin, Abfalldaten zu erfassen. Bislang liegen nur wenig konkrete Zahlen zu den potenziell verwertbaren Mineralwolleabfällen vor. Fachleute schätzen dieses Potenzial auf 10.000 bis 20.000 Tonnen pro Jahr. Damit könnte der Hüttensand, von dem in Österreich bislang pro Jahr rund 1,5 Millionen Tonnen hergestellt werden, zwar nicht einmal annähernd ersetzt werden. „Aber es ist besser als nichts“, meint ein Experte. Zudem bleibt die Notwendigkeit, eine Alternative zur Deponierung der Mineralwolle zu finden.
Im Bitkoin-Projekt selbst steht nun ein wichtiger Meilenstein an: Anfang Dezember sollen die Vorversuche abgeschlossen werden und das erste Scale-up stattfinden: Statt relativ kleinen Proben von einigen Gramm werden die Forscher dann Mengen von 100 Kilogramm schmelzen und das Ergebnis chemisch analysieren. Projektleiter Sedlazeck: „Wir haben eine Reihe von Rezepturen entwickelt, die wir nun testen wollen.“